Alle diejenigen, die sich beruflich schon länger mit dem Thema Webdesign auseinandersetzen werden die Aussage „Das Webdesign ist tot“ oder „Das Webdesign wird sterben“ vermutlich schon mindestens einmal gehört haben. Doch was ist dran, an dieser düsteren Prognose für eine aktuell sehr populäre und oftmals gesund wirtschaftende Branche?

Alle Seiten sehen gleich aus – und das ist gut so!

Eines der zwei Hauptargumente, auf die sich die Behauptung des aussterbenden Webdesigns meist stützt, ist das ein Mangel an Kreativität und innovativer Gestaltung zu stets ähnlichen, generischen Designs führt – mit anderen Worten: die moderne Website sieht sowieso immer gleich aus.

Nun mag es sicherlich stimmen, dass sich eine Vielzahl von Seiten, die man aktuell findet, in ihrer Struktur und Formsprache ähneln und generische Weblayouts die Weblandschaft an vielen Stellen dominieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dies auch zwingend ein Problem sein muss und in qualitativ minderwertigem Design resultiert. Jonathan Ive, seinerseits Ex-Lead-Designer des Weltkonzerns Apple, sagte einst: “[…]it’s very easy to be different, but very difficult to be better.”. Kaum ein Satz mag in diesem Kontext so passend sein wie dieser. Die Benutzung von Webseiten ist geprägt von Konventionen und gelernten Verhaltensweisen seitens der Nutzer. Konventionen führen zu einer verbesserten Benutzbarkeit, da sie es den Nutzer ermöglichen sich schnell und ohne großes Nachdenken auf einer Website zu orientieren und die Funktionen einer Website zu nutzen – mit diesen Konventionen zu brechen bedarf somit einem guten Grund. Ist dieser jedoch gegeben, so ist ein Bruch mit der Konvention mehr als legitim und kann zu spannenden Ergebnissen mit dem „besonderen Touch“ führen.

Ein gutes Beispiel für eine solche Konvention ist das Hamburger-Icon hinter dem sich meist ein verstecktes Menü verbirgt. Was für den geübten Nutzer des modernen Webs längst als Selbstverständlichkeit erscheint, ist in Wahrheit jedoch keineswegs selbsterklärend – im Gegenteil! Im Gegensatz zu vielen anderen Icons besteht im Fall des „Hamburger Icons“ keinerlei visuelle Ähnlichkeit zu der Darstellung einer Seitennavigation bzw. führt der Grad der Abstraktion dazu, dass keinerlei Ähnlichkeit mehr zu erkennen ist. Durch eine ständige Konfrontation der Nutzer mit diesem Gebrauchsmuster hat sich das Icon aber dennoch binnen kürzester Zeit als „Quasi-Standard“ etabliert und ist nun universell nutzbar – es wurde Konvention.

Es gilt also abzuwägen, ob bewusst mit Konventionen gebrochen wird und ob eine andere gestalterische Lösung eine bessere Alternative darstellt. Gleichzeitig gilt es jedoch auch, die Stärke dieser gestalterischen Konventionen stets im Hinterkopf zu bewahren. Scheinbar Innovatives Design, was Missverständnisse in der Benutzung hervorruft, ist nicht innovativ, sondern schlichtweg qualitativ minderwertig. Design sollte stets den Zweck der optimieren Inhaltsdarstellung verfolgen und nicht den der künstlerischen Selbstdarstellung.

Webbaukästen ersetzen keinen Webdesigner - Aber Webdesigner müssen sich dem dynamischen Ökosystem, in dem sie sich bewegen, beugen

Neben Bedrohung durch generische Webdesigns stellen aber auch Webbaukästen in den Augen mancher Webdesigner eine echte Gefahr für die Branche dar. Mit dieser Fehleinschätzung möchte ich an dieser Stelle aufräumen.

Ähnlich wie Sketch, Adobe XD oder Photoshop (an dieser Stelle könnte man die Liste vermutlich beliebig weiterführen) sind Webbaukästen ein weiteres Werkzeug zur Generierung von Weblayouts. Auch die Baukästen sind letztlich nur Werkzeuge, die, wie man sicherlich zugeben muss, immer besser werden und es durchaus ermöglichen, visuell ansprechende Ergebnisse zu erzielen.

Die bloße Verfügbarkeit eines Werkzeugs und der freie Zugang zu diesem führt jedoch noch lange nicht dazu, dass der Benutzer mit diesen auch umzugehen weiß. Würde mir jemand ein Flugzeug schenken, wüsste ich noch lange nicht, wie ich mit diesem in meinen wohlverdienten Urlaub in der Karibik fliegen kann und würde vermutlich bereits am Anlassen der Motoren scheitern. Die besten Werkzeuge helfen eben nicht, wenn das grundlegende Wissen nicht ausreichend ist, um diese sinnvoll einzusetzen.

Daraus resultiert jedoch auch, dass Kenntnisse in den klassischen Disziplinen Typografie, Proportionen etc. auch weiterhin die Grundlage für gutes (Web-)Design sein werden. Sind diese nicht vorhanden, so wird auch das Ergebnis der Gestaltung vermutlich im besten Fall mittelprächtig. Für Kleinstunternehmen und die „Bäckerei auf der Ecke“ mag eine semiprofessionelle Gestaltung vielleicht noch ausreichend sein, für professionell auftretende Unternehmen jedoch nicht.

Wir als Webdesigner sollten uns also keinesfalls gegenüber Baukastensystem verschließen oder uns vor diesen fürchten, könnten Sie doch eines Tages das Tool der Wahl zur Erstellung von Webseiten oder anderen digitalen Anwendungen werden. Denkt man dieses Szenario weiter, so wird es sicherlich angesichts der rasanten Entwicklung in den Bereichen der künstlichen Intelligenz und Big Data vermutlich schon in wenigen Jahren Tools geben die automatisiert Webseiten erstellen – sowohl die Inhalte, als auch die visuelle Präsentation.

Doch auch dies ist kein Problem was die Existenz eines guten Webdesigners in Zukunft bedrohen wird. Zunächst möchte ich jedoch der Übersichtlichkeit halber zwei Thesen zur Zukunft der Arbeit des Webdesigners festhalten:

  1. Die Werkzeuge, mit den Webdesigner*innen arbeiten, werden sich verändern (und vermutlich wird es einfacher sein, passende Werkzeuge selbst zu entwickeln)
  2. Webdesigner müssen dazu in der Lage sein, bekannte und gewohnte Workflows stets zu hinterfragen und gegebenenfalls durch neue zu ersetzen.

Die Welt besteht nicht nur aus Zahlen

Manchmal ist das Ergebnis eben mehr als die Summe seiner Teile. Wenn man so will ist genau dies im Angesicht von immer reiferen künstlichen Intelligenzen und den Möglichkeiten zur Automatisierung die Lebensversicherung für die Branche des Webdesigners bzw. des Designers im Allgemeinen.

Der US-Amerikanische Psychologe Abraham Maslow beschreibt in seinem Model der „Bedürfnispyramide“ die Strukturierung grundlegender Menschlicher Bedürfnisse und beschreibt diese als aufeinander aufbauende Bedürfnisstufen, in der die Bedürfnisse einer höheren Stufe erst dann relevant werden, sobald die zu Grunde liegenden Bedürfnisse gedeckt sind (s. Skizze).

pyramide 1

So beschreibt er die grundlegendsten Bedürfnisse als die physiologischen: Der Mensch braucht bspw. Nahrung um zu überleben. Auf die physiologischen Bedürfnisse folgen die Sicherheitsbedürfnisse, auf diese wiederum soziale Bedürfnisse. In der Spitze der Pyramide finden sich Geltungsbedürfnisse und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.

Übertragen auf Webseiten könnte eine solche Bedürfnispyramide wie folgt aussehen:

pyramide 2

So ist die Mindestanforderung an Webseiten bzw. Produkte die, dass sie funktionsfähig sind und benutzt werden können – wobei an dieser Stelle keinerlei Aussage über die Einfachheit der Benutzung getroffen wird. Zudem sollte eine Webseite vertrauenswürdig sein, denn nur dann sind Nutzer dazu bereit, ein Angebot wahrzunehmen. An dritter Stufe der Bedürfnisse findet sich eine gute Usabilty, die einen einfachen Umgang mit den Funktionen des Produktes (in diesem Fall der Website ermöglicht).

Die folgenden zwei Stufen sind die des Spaßes und der Begeisterung, wobei sich diese ausschließlich in der Qualität der Freude während der Nutzung unterscheiden und darin, ob Nutzer intrinsisch dazu motiviert sind, anderen von dem Produkt zu berichten, da das Produkt derart überzeugt. Genau diese zwei Stufen sind die, auf die wir uns als Webdesigner in Zukunft fokussieren sollten. An dieser Stelle werden Erlebnisse geschaffen, die Menschen in Erinnerungen bleiben und ein Lächeln in die Gesichter zaubert. An dieser Stelle fangen Produkte und unsere Arbeit an wirklich Spaß zu machen. Dank der Automatisierung von Prozessen und der daraus resultierenden Zeitersparnis haben wir endlich auch die nötige Zeit um uns in aller Tiefe mit dem Erfüllen dieser Bedürfnisse zu beschäftigen. An dieser Stelle gestalten wir Glücksgefühle – was gibt es schöneres?

Im Gegensatz dazu bilden die unteren drei Stufen ausschließlich das Gerüst für eine moderne Webseite, das in dieser Form auch schon in sehr naher Zukunft automatisiert erreicht werden kann. An dieser Stelle wird der Markt also schrumpfen und irgendwann in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Hier wird in Zukunft also kein Geld mehr zu holen sein. Das ist jedoch keineswegs ein Problem, sondern viel mehr eine Chance. Eine Chance die durch eine entsprechende Positionierung zum einen zu einer verbesserten wirtschaftlichen Situation führen kann und zum anderen zu einem spannenderen und vielseitigeren Arbeitsfeld in dem eine große Anzahl von Disziplinen aufeinandertreffen.

Maschinen sind keine Menschen

Nun wird man argumentieren können, dass auch die oberen beiden Stufen der Bedürfnispyramide durch ausgereiftere künstliche Intelligenzen abgebildet und gestaltet werden können. An dieser Stelle möchte ich jedoch einhaken und eine romantische Sicht auf die Situation präsentieren: Ganz egal, wie gut menschliche Gefühle wie Empathie, Humor oder Mitgefühl seitens künstlicher Intelligenzen in Zukunft simuliert werden können, so werden diese Gefühle niemals echte Gefühle sein. Sie bleiben stets das Ergebnis eines ausgefeilten Algorithmus.

Dieser kleine aber feine Unterschied wird es jedoch sein, der in Gestaltungsprozessen von entscheidender Bedeutung sein wird und ein gutes von einem sehr guten Produkt unterscheiden.

Halten wir auch hier zur besseren Übersichtlichkeit drei kurze Thesen festhalten:

  1. Eines Tages wird nicht der Tag kommen, an dem die Maschine den Designer ersetzen wird.
  2. Webdesign als Massengeschäft wird sterben, wird in der persönlichen strategischen Ausrichtung unersetzlich bleiben
  3. Digitales Design wird detailreicher, emotionaler und persönlicher

Ein Zukunftsausblick

So viele Herausforderungen auf Webdesigner in Zukunft zukommen werden, so viele Chancen stehen diesen Herausforderungen gegenüber.

Es ist ganz gewiss wahr, dass das Massengeschäft Webdesign, mit dem ein großer Teil der Webdesigner einen nicht unerheblichen Anteil ihres Umsatzes generieren, langsam aber sicher aussterben wird. Doch auch an dieser Stelle möchte ich beruhigen. Auch der Bedarf hierfür wird nach wie vor bestehen bleiben.

Viel spannender ist jedoch die Tatsache, dass der Begriff Webdesigner ein Stück weit irreführend ist, schließlich designen Webdesigner nicht das Internet sondern Benutzeroberflächen, die die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ermöglichen. Das bereits angesprochene dafür erlernte Handwerk ist somit keines, was sich auf die Gestaltung von Webseiten beschränkt.

Gleichzeitig werden die Disziplinen User Experience Design und Service Design ein immer elementarer Bestandteil der täglichen Arbeit des Webdesigners während das klassische Screendesign/Grafikdesign immer weniger werden wird. Eine ganzheitlichere Herangehensweise wird üblicher – Projektvolumen größer und die Aufgaben vielfältiger.

Hinzu kommt, dass Webdesigner meist auch eine gewisse technische Affinität mitbringt und komplexere technische Prozesse schneller zu erfassen. Wir Webdesigner sind also prädestiniert dazu aufkommende technische Innovationen mitzugestalten.

Diesen Prozessen muss man sich jedoch bewusst sein und stets die neuesten Entwicklungen im Ökosystem Web beobachten. Es gilt offen für neues zu sein und für sich selber eine Nische zu finden.