Barrierefreiheit im Web: Mehr als ein soziales Anliegen
Barrierefreiheit im Web betrifft weit mehr Menschen, als viele denken: Rund 8 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer anerkannten Behinderung (Destatis, 2023). Hinzu kommen ältere Menschen, Menschen mit temporären Einschränkungen (z. B. durch Gipsarm, Augenentzündung), Personen mit chronischen Erkrankungen sowie Nutzer:innen mit geringer technischer Erfahrung oder Sprachkompetenz. Eine barrierefreie Website ist deshalb kein Nischenanliegen, sondern ein Gewinn für alle.
BITV, BFSG, WCAG, EN 301549 - Bitte was?
Wir bringen Klarheit in das Abkürzungs-Wirrwar!
Barrierefreiheit im Internet ist wichtig – da sind sich inzwischen viele Unternehmen einig. Doch sobald es um die Umsetzung geht, stolpern viele über ein echtes Buchstabengewitter: BITV, WCAG, BFSG, EN 301 549. Was bedeutet das alles? Muss ich das wirklich wissen? Und was davon ist Pflicht?
WCAG – die Grundlage für barrierefreies Webdesign weltweit
Die „Web Content Accessibility Guidelines“ (kurz WCAG) sind internationale Richtlinien für barrierefreie Inhalte im Web. Sie wurden vom W3C-Konsortium entwickelt und gelten weltweit als Standard.
Wichtig zu wissen:
-
Es gibt verschiedene Versionen der WCAG. Die aktuelle Version ist die WCAG 2.2, die seit Dezember 2024 besteht und die WCAG 2.1 um 6 weitere Erfolgskriterien ergänzt.
-
Websites sollten mindestens das Konformitätslevel AA erfüllen (es gibt die Konformitätsstufen A, AA, AAA)
-
Die WCAG beschreiben z. B., dass Inhalte gut lesbar sein müssen, per Tastatur bedienbar sind, und Bilder Alternativtexte brauchen. Hierzu werden eine Vielzahl von Prüfschritten durchlaufen und die Website so im Detail geprüft.
Die WCAG sind also das "Was" – sie erklären, wie man Websites in der Praxis barrierefrei gestalten kann. Viele andere Gesetze und Normen greifen direkt auf sie zurück – auch die deutschen Regelwerke.
BITV – das deutsche Regelwerk für öffentliche Stellen
Die „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung“ (BITV) gibt es seit 2002. Sie verpflichtet Behörden und öffentliche Einrichtungen in Deutschland, ihre Websites und Apps barrierefrei zu gestalten.
Was steht drin?
-
Öffentliche Stellen müssen die WCAG umsetzen
-
Zusätzlich ist z. B. eine Erklärung zur Barrierefreiheit auf der Website Pflicht
-
Auch Inhalte in Leichter Sprache und ein Gebärdensprachvideo sind vorgesehen
Für private Unternehmen ist die BITV nicht direkt relevant – aber sie zeigt, wie konkrete Anforderungen in Deutschland aussehen können
EN 301 549 – die europäische Norm hinter vielen Gesetzen
Hinter dieser sperrigen Abkürzung steckt die europäische Norm für barrierefreie IT-Produkte und -Dienste (Accessibility requirements for ICT products and services). Die EN 301 549 definiert, was barrierefreie Websites, Software, Dokumente oder Geräte leisten müssen.
Was macht sie besonders?
-
Sie basiert inhaltlich auf den WCAG – ist aber europäisch harmonisiert
-
Sie ist die technische Grundlage für viele EU-Gesetze und nationale Vorschriften
-
Sie betrifft nicht nur Websites, sondern z. B. auch Bankautomaten, E-Reader, Apps usw.
Wenn z. B. in einem Gesetz steht: „Das Angebot muss barrierefrei gemäß EN 301 549 sein“, dann ist klar: Es gelten die WCAG – aber mit EU-Rechtskraft.
BFSG – Barrierefreiheitsstärkungsgesetz - So wird Barrierefreiheit auch für private Unternehmen zur Pflicht ab 2025
Das BFSG ist das deutsche Gesetz, das die EU-Vorgaben zur Barrierefreiheit in nationales Recht umsetzt. Es tritt am 28. Juni 2025 vollständig in Kraft.
Wen betrifft das?
-
Private Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitenden oder Jahresumsatz von mehr als 2 Millionen Euro oder dessen Jahresbilanzsumme sich auf mehr als 2 Millionen Euro beläuft
-
Anbieter von Websites, Online-Shops, Apps, E-Books, Bankdiensten, Fahrkartenautomaten u. v. m.
Was ist zu tun?
-
Die digitalen Angebote müssen barrierefrei nach EN 301 549 sein – also praktisch: WCAG 2.1 Level AA umsetzen
-
Konforme PDFs und digitale Formulare in die Website implementieren
-
Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 100.000 Euro
Kurz gesagt: Mit dem BFSG wird Barrierefreiheit auch für private Unternehmen zur Pflicht. Und das ist neu.
Was droht bei Nichtbeachtung?
-
Das BFSG sieht theoretisch Bußgelder bis zu 100.000 Euro vor.
-
Imageverlust in Öffentlichkeit und bei Partnern
Wer überwacht die Einhaltung des BFSG?
Für die Überwachung der Einhaltung des BFSG ist die sogenannte Marktüberwachungsstelle der Länder verantwortlich. Diese staatlichen Stellen prüfen, ob Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen zur Barrierefreiheit umsetzen – etwa bei Websites, Apps oder digitalen Verkaufsplattformen.
Die Marktüberwachung kann stichprobenartige Prüfungen durchführen oder auf Beschwerden reagieren. Werden Mängel festgestellt, können Unternehmen zur Nachbesserung aufgefordert und bei anhaltender Nichtumsetzung mit Bußgeldern belegt werden. Ziel ist es, sicherzustellen, dass Barrierefreiheit nicht nur ein theoretisches Ziel bleibt, sondern in der Praxis tatsächlich umgesetzt wird.
Inklusion als digitaler Standard: Warum Unternehmen jetzt handeln sollten
Barrierefreiheit ermöglicht den gleichberechtigten Zugang zu digitalen Angeboten. Mit Hilfe von Tools wie bspw. einem Screenreader kann sichergestellt werden, dass alle Inhalte einer Website ohne Barriere konsumiert werden können. Sie ist die Grundlage dafür, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können – ob beim Online-Shopping, beim Lesen von Nachrichten oder bei der Jobsuche. Unternehmen, die digitale Inklusion ernst nehmen, leisten einen aktiven Beitrag zur Gleichstellung.
-
Signalisiert Offenheit und gesellschaftliches Engagement
-
Positioniert das Unternehmen als verantwortungsbewusste Marke
-
Eröffnet Chancen für Employer Branding und Diversity
Wirtschaftlich denken: Wie barrierefreie Websites den Umsatz steigern können
SEO + UX + Reichweite = Wachstum. Eine barrierefreie Website erschließt eine deutlich größere Zielgruppe – auch über Menschen mit Behinderung hinaus. Ältere Menschen profitieren ebenso wie gestresste Nutzer:innen, die schnell Informationen finden möchten.
-
Conversion-Boost: Klare Strukturen, leicht zugängliche Formulare und intuitive Navigation steigern messbar die Abschlussrate
-
Bessere Sichtbarkeit: Barrierefreie Seiten nutzen semantisches HTML, sprechende Links und Alt-Texte – das liebt Google und ist Grundlage für ein gutes Ranking in Suchmaschinen
-
Geringere Absprungrate: Nutzer finden schneller, was sie suchen – das senkt Frust und Support-Anfragen
WebAIM, 2022 zeigt in Studien, dass barrierefreie Websites sowohl in der Suchmaschinenoptimierung als auch bei Nutzerbindung punkten.
Differenzierung durch Verantwortung: Wie Barrierefreiheit das Markenimage stärkt
Wer früh handelt, gewinnt Vertrauen – Frühzeitig barrierefrei zu denken, positioniert Unternehmen als Vorreiter in diesem Gebiet. Es zeigt Innovationsgeist und soziale Verantwortung. Gerade im B2B-Bereich achten immer mehr Geschäftspartner darauf, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die ethisch, nachhaltig und inklusiv agieren.
-
CSR-relevant: Barrierefreiheit als Bestandteil sozialer Nachhaltigkeit
-
Employer Branding: Inklusive digitale Angebote sprechen diverse Talente an
-
Langfristige Kundenbindung: Wer sich wertgeschätzt fühlt, bleibt der Marke treu
Ein starkes Image ist nicht nur gut für die Außenwirkung, sondern wirkt auch nach innen bei Mitarbeitenden.
Fazit: Barrierefreiheit ist der neue Standard
Barrierefreiheit ist keine Zusatzfunktion – sie ist essenzieller Bestandteil moderner Webentwicklung. Sie sorgt für bessere Nutzererlebnisse, steigert Reichweite, erfüllt gesetzliche Anforderungen und stärkt das Unternehmensimage. Unternehmen, die jetzt handeln, investieren nicht nur in einen technisch hochwertigen und inklusiven Webauftritt, sondern zeigen Haltung.
Barrierefreiheit wirkt auf drei Ebenen:
-
Sozial: Teilhabe fördern
-
Wirtschaftlich: Kunden gewinnen und halten
-
Juristisch: Vorschriften einhalten
Jetzt aktiv werden: Ihr Einstieg in digitale Barrierefreiheit
Sie möchten wissen, wie barrierefrei Ihre Website aktuell ist?
- Einen ersten Hinweis gibt unser Blogbeitrag zum Barrierefreiheits-Selbstcheck
- Buchen Sie eine unverbindliche Erstberatung
- Lassen Sie Ihre Website von uns im Accessibility-Schnellcheck prüfen
Gemeinsam schaffen wir einen digitalen Auftritt, der für alle funktioniert.